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Online-ZeitungFrankreich - La grande Nation - jetzt wird's unschön |
14.03.2012 |
Europa war geschockt, als Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy damit drohte, zeitlich befristet aus dem Schengen Abkommen auszusteigen. Ähnlich wie bei Dänemark hätte dies wieder Kontrollen an den Binnengrenzen zur Folge. Mit nur einer Andeutung zeigte der ranghöchste westliche Nachbar auf, wie weit es tatsächlich mit dem Gedanken eines Vereinten Europas gekommen ist: "Wir dürfen nicht ein Europa akzeptieren, das durchlässig ist wie ein Sieb!" Sollten die Verträge nicht bis zu 12 Monate nach seiner Wiederwahl neu verhandelt werden, so droht er mit dem vorübergehenden Ausstieg aus der Schengenzone. Bonn und Brüssel wollen keine Wahlkampfreden kommentieren, Luxemburg jedoch spricht von "antieuropäisch" und "Säbelrasseln in höchster Potenz". Frankreich wählt in etwas mehr als fünf Wochen. In der Gunst der Wähler führte bislang der Herausforderer aus dem Lager der Sozialisten, François Hollande mit 29 %. In einer möglichen Stichwahl käme er auf überzeugende 56 %. Und dabei ist Hollande alles andere als charismatisch oder gar eine Führerfigur. Mit dem bisherigen Amtsinhaber (bislang bei 26 %) assoziieren die Franzosen die derzeitige Misere: Die Triple-A-Bewertung erklärte Sarkozy zur Chefsache, ausserdem hatte er versprochen, dass das Land nicht dermassen von der Wirtschaftskrise gebeutelt würde. Ferner verstehen viele das Engagement für Europa nicht, da die Situation im Land nicht unbedingt dermassen gut läuft, dass man die gesamte Energie ins Ausland stecken kann. Tatsache ist, dass der ehemalige "Mann des Volkes" derzeit wie wild um sich schlägt, um seinen Platz im Elysée-Palast behalten zu können. Gegenwärtig etwa versucht er durch europakritische, populistische Aussagen auch die Wähler der rechten Front National auf ihn einzuschwören. Die Schengen-Regeln über die Personenfreizügigkeit sollten ebenso wie der Euro grundlegend geändert werden! Kein Wunder, brachte doch Europa dem stolzen Lande Napoleons mehr Arbeitslose und höhere Staatsschulden. Somit meinen immer mehr, dass das Leben ohne die europäischen Pleitestaaten wesentlich besser sein könnte. Der Ausruf Sarkozys "Ich habe alles für Frankreich gegeben!" wirkt dabei wie ein schlechter Witz beim Baguette und dem Glas Pernod im Bistro. Niemals zuvor wurde ein ungeliebter Politiker gewählt. Niemals zuvor hatte ein Staatspräsident der Fünften Republik solch schlechte Sympathiewerte. Sarkozy brauchte ein Wunder! Und dies ist nun offenbar eingetreten: Glaubt man einer am Dienstag veröffentlichten Ifop-Umfrage, so hat Hollande 1,5 Prozentpunkte verloren, Sarkozy hingegen auf 28,5 % zugelegt. Auch bei den möglichen Stichwahl-Ergebnissen hat der Sozialist ebenfalls entsprechend eingebüsst. Damit würde eine Trendwende stattgefunden haben. Doch wie allseits bekannt, sind solch knappe Umfragewerte vor Wahlen mit Vorsicht zu geniessen. Bei all diesen Rettungsversuchen wird aufgeboten, was gerade noch gehen und sprechen kann. Erst diese Woche sang der beliebte Filmstar Gerard Depardieu bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in der Messehalle von Villepinte nördlich von Paris vor 50.000 Anhängern ein Loblied auf seinen Freund. Ja - auch die zweite Hälfte des Duos Merkozy, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wurde eingeflogen. Doch könnte dies möglicherweise ein Schuss nach hinten gewesen sein. Nein - nicht wegen des 2. Weltkrieges! Das haben inzwischen die meisten vergessen. |
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Doch verkraften viele Franzosen die Tatsache nicht, dass der Konjunkturmotor in Deutschland nach wie vor brummt, Arbeit somit genügend da ist und der östliche Nachbar noch auf Triple-A eingestuft ist. Dies schafft eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die sehr am Nationalstolz der Tricolore nagt. Die Ausländerproblematik in Frankreich sitzt in sehr vielen Köpfen. Die meisten haben Angst vor einer Überfremdung. Schliesslich ist ein Grossteil der Bootsflüchtlinge aus Afrika, die in Italien gestrandet sind, direkt nach Frankreich weitergezogen. Also wettert der konservative Kapitän während seines Zickzack-Kurses auf die muslimischen Schlachtungsrituale. Sicherlich nicht unserem Kulturkreis entsprechend, gewährt jedoch auch die französische Verfassung die freie Ausübung der Religion. Wieso hat er nicht schon zuvor etwas dagegen unternommen? Nettes Detail übrigens am Rande: Nicolas Sarkozy ist selbst Sohn eines ungarischen Einwanderers! Vielen geht dieser Rechtsruck inzwischen zu weit. So etwa dem sehr populären ehemaligen Minister Jean-Louis Borloo, der sich mitsamt seiner im Zentrum angesiedelten kleinen aber feinen Partei von Sarkozy zurückgezogen hat. Mit dem Schengen-Sager beispielsweise ging Le Président weiter als die ultrarechte Marine Le Pen, die es allerdings laut letzten Umfragen auf rund 17 % bringt. Doch schaffte auch sie diese Woche die notwendige Hürde an Unterstützungserklärungen und kandidiert damit selbst. Oder steckt wirklich nur blosse Wahlkampfrhetorik dahinter? Mitnichten, schliesslich fordert er, dass Ausländer erst nach zehn Jahren (zumindest fünf davon mit Arbeit) den Anspruch aus Sozialhilfe erwirken können. Aus jährlich 180.000 Zuwanderer sollen nurmehr 100.000 werden, die auch nur dann französische Staatsbürger werden können, wenn sie die Landessprache sprechen und Kenntnisse in Staatsbürgerschaftskunde vorzuweisen haben. Aus Brüssel heisst es, dass das Schengen-Abkommen ohnedies derzeit überarbeitet würde. Wenn Frankreich austreten wolle, dann müssten parallel dazu auch die EU-Verträge geändert werden. Meinte der Präsident dies mit dem "Neuverhandeln der Schengenverträge"? Das wäre aber dann doch eine mehr als plumpe Wählertäuschung! |
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